Straße nach Nirgendwo by Nele Löwenberg

Straße nach Nirgendwo by Nele Löwenberg

Autor:Nele Löwenberg
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin
veröffentlicht: 2015-08-16T16:00:00+00:00


Zwei Jahre später

Oktober 1999

Florida war ein Paradies, aber irgendwann wurde dieses Paradies deprimierend. Nach zwei Jahren begannen mir die Jahreszeiten, mit denen ich aufgewachsen war, zu fehlen. Ich sehnte mich nach kühler Herbstluft, nach Schnee und dem Frühling, in dem die Natur zum Leben erwachte. Ich hatte die Nase voll von dem schönen Wetter, der hohen Luftfeuchtigkeit und den Touristenmassen. Vielleicht war Florida in Ordnung, wenn man Geld hatte und sich ein großes, klimatisiertes Haus leisten konnte, aber so weit hatte ich es nicht gebracht. Zuerst hatte ich für einen Hungerlohn als Illegale auf einer Orangenplantage in der Nähe von Bradenton an der Westküste geschuftet, dann war ich nach Orlando gefahren und hatte einen Job in Disney World bekommen. Es war die Hölle, bei 40 Grad Celsius und 80 Prozent Luftfeuchtigkeit in einem Mickeymaus-Kostüm zu stecken, deshalb hatte ich nach ein paar Monaten gekündigt und eine Weile in einem Hotel in der Küche und im Service gearbeitet. In einer Supermarktzeitung hatte ich von einer Guest Ranch bei Winter Haven gelesen, die jemanden für die Arbeit mit den Pferden suchte, und das war für weitere fünf Monate okay gewesen, aber die acht Dollar, die man mir dort pro Stunde gezahlt hatte, waren zu wenig zum Leben und zu viel zum Sterben gewesen. Daraufhin hatte ich ein halbes Jahr lang Villen und Pools in St. Petersburg, Clearwater, Sarasota und Tampa geputzt, bis sich einer der Besitzer bei meinem Chef beschwert hatte, weil meine Kollegin und ich heimlich in seinem Pool geschwommen waren. Den Chef, ein aufgeblasenes, glatzköpfiges Bürschchen, hatte es nicht die Bohne interessiert, dass ich zuvor sechs Monate einwandfrei gearbeitet hatte. Er hatte mich auf der Stelle gefeuert, ohne mir auch nur die Möglichkeit für eine Rechtfertigung zu geben, und da war mir endgültig klargeworden, dass Florida und ich nicht zueinanderpassten.

Das war vor zwei Tagen passiert, und jetzt war ich ohne jeden Plan auf dem Weg in den Norden. Ich hatte meine gesamte Habe in meinen 1990er Chevy Caprice geladen, den ich vor ein paar Wochen für viertausend Dollar gekauft hatte. Mein treuer Honda hatte am Abend des 4. Juli ausgerechnet mitten auf der Bayside Bridge zwischen Clearwater und Tampa sein Leben ausgehaucht, und ich hatte eine geschlagene Stunde mitten auf der Brücke auf den Abschleppwagen warten müssen. Wenigstens hatte ich dabei einen Logenplatz auf das Feuerwerk auf beiden Seiten der Old Tampa Bay gehabt.

Der Chevy war auch nicht mehr der Jüngste und hatte 180 000 Meilen auf dem Tacho, aber er kam aus erster Hand, war gepflegt, und der 5-Liter-V8-Motor schnurrte gleichmäßig vor sich hin. Ich hatte es nicht eilig, das war der einzige Vorteil daran, wenn man ohne Ziel unterwegs war. Im Gegensatz zu all den Leuten, die sich ihre Köpfe unablässig über Bankdarlehen, Hypothekenzinsen und Kreditkartenschulden zerbrachen, musste ich nur immer einen Job finden, um ein Bett für die Nacht und die nächste Tankfüllung bezahlen zu können. Die beiden Jahre in Florida hatten mir insofern gutgetan, als dass ich innerliche Distanz zu den Ereignissen auf der Willow Creek Farm und in Lincoln gewonnen hatte, aber sie waren auch verlorene Zeit gewesen.



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